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"Mona Mania"

Im Reigen der Meisterwerke der Renaissancezeit existiert wahrscheinlich kein Bild, das bekannter ist als Leonardo da Vincis Portrait der Gattin eines wohlhabenden Seidenhaendlers. Googelt man Mona Lisa, erscheinen ueber 4,6 Milionen Referenzen zu Internet Webseiten. Zur Ikone geworden und Ausgangspunkt fuer weitere kuenstlerische Formen, ist das raetselhafte Bild tausendfach weltweit reproduziert, parodiert, karikiert und manipuliert worden.

Fuer Andreas Jaeggi, in Basel ansaessiger Kuenstler/Maler/Bildhauer und Opern-/Konzertsaenger, ist Mona Lisa zum "Zeugnis mit dem groessten Wiedererkennungseffekt vergangener europaeischer Kultur" geworden. Basierend auf dieser beruehmten Quelle, hat er bisher 21 Zeichnungen in einer fortlaufenden Serie vollendet, die sich mit dem Beruehmtsein und dessen Darstellung befasst. Jaeggi ersetzt die geheimnisvolle Frau in Leonardos Original durch weltbekannte Figuren aus dem 20. Jahrhundert und spielt mit Perspektiven auf verschiedenste Weise.

Er setzt seine Ideen durch, testet, lockt, verlockt und verlangt unsere ganze Aufmerksamkeit nicht nur fuer das zentrale Thema, sondern auch fuer jede Einzelheit in jeder einzelnen Arbeit. Interpretationen der Landschaftsdetails – einige subtil, andere augenfaellig – sind bedeutungsvoll, hier ganz besonders wegen Leonardos Verwendung von zwei unterschiedlichen Fluchtpunkten in der Perspektive. Der linke Hintergrund des Bildes unterscheidet sich vollkommen von jenem der rechten Seite. Jaeggi und andere, wie zum Beispiel Nicolas Pioche im WebMuseum Paris, erkennen diesen Trick als Leonardos Instrument, zwei "Fantasie"-Landschaften zu erfinden, die nicht wirklich miteinander verbunden sind.

Sinn fuer Humor zu haben ist beim Betrachten von Andreas Jaeggis Mona Projekt ein hilfreiches Accessoire. Das eigene Mona Bildnis des Kuenstlers (Mona Myself) koennte man beinahe mit dem Original verwechseln – obwohl in schwarz-weiss – bis der kurzsichtige Blick von hinter diffusen Brillenglaesern sich ins Blickfeld schleicht. Die anderen in der Serie dargestellten Persoenlichkeiten moegen beruehmter sein als er selbst, die ikonenhafte Qualitaet des Bildes jedoch bleibt und dies auch in der buchstaeblichen und figurativ komischen Wiedergabe aller anderen ausgewaehlten Modelle. Donald Duck ist in Walt Disneys Zeichentrickfilmen ja auch leibhaft lebendig geworden, nicht wahr? Und obwohl die Geschichte von Schneewittchen schon seit vielen Generationen in unserer Mythologie existiert, ist das Bild, das die meisten heute von dieser Maerchenfigur haben, jenes aus Disneys Trickfilm von 1938.

Die Wahl der Beruehmtheiten und die Wahl der allgemein bekanntesten Wiedergabe dieser "People" sind nur zwei der Fragen, die sich Jaeggi waehrend der Entwicklung der Originalzeichnungen fuer das Mona Projekt stellt. Der Kuenstler denkt auch darueber nach: "Gibt es einen speziellen Moment im Leben dieser Beruehmtheiten, in dem die Zeit still steht und sich das Bild von ihnen herauskristallisiert, das fuer immer und ewig an sie erinnert? In welchem Lebensalter sollte eine Beruehmtheit bildlich festgehalten werden? Ist eine bestimmte Pose von Wichtigkeit?" Und er kommt zu folgendem Schluss: "Sehr oft ist es nur ein ganz bestimmtes Bild einer Persoenlichkeit, das wir alle kennen, und welches wahrhaft repraesentativ fuer diese Person ist." Genau wie die verehrte Dame selber werden diese Bilder zu Ikonen und diese sind es, die Jaeggi fuer sein Mona Projekt auswaehlt.

Die gegenwaertige Serie begann mit schwarz-weissen Bleistiftzeichnungen. Farbstift ist fuer einige neuere Arbeiten verwendet worden, der Kuenstler scheint sich jedoch nicht ganz sicher zu sein, was deren Wert betrifft. "Farbe gibt einer Arbeit nicht zwangslaeufig mehr Tiefe und Bedeutung," sagt Jaeggi. "Beschraenktere und stilisiertere Ausdrucksmittel haben sich oft als ausdrucksstaerker erwiesen. Es versteht sich von selbst, dass jede Arbeit durch die Augen jedes einzelnen Betrachters gesehen wird und mit dessen/deren eigenen Erfahrungen und Erinnerungen oder Verbindungen zu dem Dargestellten."

Waehrend eine Arbeit wie Mona Teresa wegen ihres eindruecklichen Gesichtsausdrucks eine nachdenkliche oder philosophische Reaktion hervorrufen mag, loesen andere Stuecke Augenzwinkern und humorvolles Kopfschuetteln aus, insbesonders Mona Warhol: zusaetzlich zur Kombination von schwarz-weiss und Farbe im Kopf und der Schulterpartie, verwendet Jaeggi das Nach-Zahlen-Malen in der Landschaft und Kleidung als sehr warhol'sche Reverenz vor der Pop Art-Kultur.

Jaeggi meint, Humor basiere "auf dem Sich-lustig-Machen ueber eine bestimmte Person in einer ganz bestimmten geografischen und zeitlichen Situation. Humor bedeutet vor allem, die Dinge nicht nur eindimensional oberflaechlich zu sehen und hinzunehmen, sondern eine gewisse Distanz zu sich selber und zu seiner Umgebung zu haben." Natuerlich setzt diese Haltung eine gewisse Reife voraus, die nicht zwangslaeufig vorhanden ist, weder im dargestellten Modell, noch im Betrachter. Die einen moegen sich an dem Humoristischen erfreuen, waehrend andere sich darob grob beleidigt fuehlen. Jaeggi sagt aber, dass "sogar die laecherlichste Darstellung einer oeffentlichen Person respektvoll sein kann und eine tiefstempfundene Ehrung."

Leonardos Mona Lisa ist auf beiden Seiten dieser Strasse zu finden: verehrt und durch den Kakao gezogen, von Kunsthistorikern gefeiert und durch die Volkskultur entthront. Das originale Oelgemaelde auf Pappelholz (77 x 53 cm) ist im Louvre in Paris zu Hause. Leonardo hat damit 1503 in Florenz angefangen und man sagt, er haette drei bis vier Jahre gebraucht, um es zu beenden. Als Leonardo etwa zehn Jahre nach Fertigstellung des Bildes von Italien nach Frankreich uebersiedelte, nahm er das Gemaelde mit sich, wo er es nachweislich Koenig Francois dem Ersten verkaufte. 

Fuer die meiste Zeit ihres Daseins ist der Louvre Mona Lisas Zuhause, doch sie ist auch weitgereist. Das Gemaelde residierte in Fontainebleau und Versailles, bevor es sich nach der Franzoesischen Revolution im Louvre niederliess. Sogar Napoleon war von dem Bild fasziniert und liess es in seinem Schlafzimmer in den Tuileries installieren.

Aber erst seit Mitte des 18. Jahrhunderts wird Mona Lisa in Kuenstlerkreisen geschaetzt, um dann spaeter weltweite Bedeutung zu erlangen. Beruehmt-Sein ist nicht immer von Vorteil: 1911 wurde das Gemaelde im Auftrag eines Schwindlers von einem Museumsangestellten gestohlen und es blieb zwei Jahre lang verschollen. Waehrend des Zweiten Weltkriegs wurde Mona Lisa ausgelagert und kehrte nach dem Waffenstillstand wieder in den Louvre zurueck. Nach mehreren Vorfaellen von Vandalismus in den spaeten 50er Jahren wurde das Bild durch Sicherheitsglas geschuetzt. Kurze Reisen in die Vereinigten Staaten in den fruehen 60ern und 1974 nach Tokio und Moskau sind seither die einzigen Ausfluege gewesen. 2005 wurde das Gemaelde in einen speziell geschuetzten Saal innerhalb des Louvre umgesiedelt.

Wie ist es nun dazu gekommen, dass diese Erleuchtung aus der Renaissancezeit zur Zielscheibe und Parodie-Ikone der Pop Kultur und Avantgarde-Kunst geworden ist? Viele halten das Werk von Marcel Duchamp, dem einflussreichen Dadaisten, fuer die erste Karikatur von Mona Lisa. Sein 1919 entstandenes "L.H.O.O.Q." ist eine billige Postkartenreproduktion mit einem draufgekritzelten Schnauz und Baertchen. Der Titel des Werks ist ein unflaetiger doppelsinniger Kommentar: wenn man ihn laut auf franzoesisch ausspricht klingt es wie "Elle a chaud au cul", was genau uebersetzt "Sie hat heiss am Arsch" heisst.

Durch die Jahre ist Mona Lisa – oder ihre geheimnisvolle Geschichte – zum Gegenstand von Liedern, Songs, Geschichten, Buechern, Filmen geworden und sie findet sich in jeder erdenklichen Kunstform wieder. Dan Browns Thriller "Der Da Vinci Code" und der 2006 herausgekommene Hollywoodfilm nach dem Buch sind nur die neusten Beispiele wie dieses beruemhte Gemaelde die westliche Kultur durchdrungen hat.

In seinem Mona Projekt folgt Andreas Jaeggi beiden, da Vinci und Duchamp, und er kreiert Portraits, die ebenso raetselhaft und empoerend wie subtil und herausfordernd sind. Durch die Wahl des weltbekanntesten Bildes und durch die Verknuepfung dessen mit einigen der wiedererkennbarsten Beruehmtheiten unserer Tage verlangt Jaeggi von uns, dass wir uns mit dem Weltgeschehen und dessen bildlichen Darstellungen auseinandersetzen. Ob der Betrachter nun aufstoehnt oder seine Mundwinkel nach unten zieht, laechelt oder lacht, Andreas Jaeggis Mona Projekt nimmt Kopf und Herz in Anspruch – und laesst uns durch die gemachten Erfahrungen reicher werden.

von Jill J. Jensen
 

"das Mona Projekt"
KunstKatalog und AusstellungsEvent, Basel