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"Eine Suche nach Wahrheit und Bedeutung"
Andreas Jaeggi sucht ununterbrochen nach Schoenheit, Harmonie und Ausgewogenheit in seinem Kunst-Machen. Man muss jedoch gleich anfuegen, dass ihm die Suche nach Wahrheit noch wichtiger ist. Der Sinn dieser oft falsch verwendeten und missbrauchten Ausdruecke und Verallgemeinerungen sind fuer jeden Kuenstler und jederzeit eine Herausforderung. In dieser Werkschau im Berliner Kunstprojekt nimmt Andreas Jaeggi es auf sich, in wahrer Kunst Schoenheit, Harmonie und Ausgewogenheit zu bestimmen und er versucht gleichzeitig sein Ziel zu erreichen, Arbeiten zu zeigen, die ein Gefuehl von "grosser Ruhe" vermitteln.
Die Thematik scheint auf den ersten Blick nicht geeignet, "Ruhe" zu schaffen. Auch scheinen die eigenen Angaben des Kuenstlers zu seiner Ausstellung dem eben erwaehnten Gefuehl "grosser Ruhe" zu widersprechen, denn Jaeggi nennt seine Arbeit einen "schwebenden Friedhof von abgetrennten Koepfen, die auf Augenhoehe des von der Decke haengen". Koennen abgetrennte Koepfe Ruhe schaffen? Nur der Betrachter kann dies beurteilen.
Die Kopfskulpturen haben sich aus einer Vielzahl von Werkgruppen figurativer Arbeiten entwickelt. Dieses in Berlin gezeigte Projekt ist aus einer frueheren Serie von zwanzig Kopfskulpturen wie auch aus einer Reihe von Einzelportraits entstanden. Obwohl der Kuenstler in der langen Tradition figurativer Bildhauerei arbeitet, sucht er nicht nach Quellen aus der Kunstgeschichte, sondern setzt als Modell den Kopf eines zeitgenoessischen jungen Mannes ein.
Die Koepfe der Installation sind von einer einzigen Negativform abgezogen. Die Wiederholung des einzelnen nicht identifizierten Maennerkopfes bringt diese Arbeit in die Naehe neuzeitlicher Kunstproduktion. Luftgetrockneter Modellierton ist ueberhoeht durch Oel- & Acrylfarbe ebenso wie durch das Einsetzen reiner Farbpigmente. Die modernistische Technik der Repetiton ist nicht die einzige kulturelle Verknuepfung, die auffaellt. Durch die Koerperlichkeit der entseelten Koepfe, die von Kopf zu Kopf gleich bleibt, zieht man bald Parallelen zu Horrorfilm und Science Fiction. Klonen kommt einem in den Sinn und man denkt an Marcel Duchamps Ready-Mades. Andy Warhol trifft auf die "Invasion der Leichenfresser" und auf Goyas Darstellungen von Kriegsgreuel.
In dieser Ausstellung beschaeftigt sich Jaeggi mit anderen Themen als in seinen vorgaengigen Serien "Stadtimpressionen" oder "New York Zippers". In den "Stadtimpressionen" zum Beispiel nimmt seine Arbeit nicht nur die Form von Malerei an, die Malerei bietet eine sanft expressionistische und stilisierte Wiedergabe von urbanen Landschaften an. Schmerz und die dunkle Seite des Menschen kann durch sorgfaeltiges Studium aus diesen Arbeiten zwar erahnt werden, sie sind jedoch bestimmt nicht an der Oberflaeche leicht erkennbar. In der Rauminstallation seiner "friedvollen Koepfe" beschaeftigt sich Jaeggi hingegen mit der Wirklichkeit, wie sie sich Leuten mit schweren Krankheiten, entstellenden Verletzungen oder anderen einschraenkenden koerperlichen oder geistigen Behinderungen stellt. Er erweitert sein Thema noch, indem er ganz generell auf Menschengruppen eingeht, deren physische Kondition beschraenkt ist, zum Beispiel durch hohes Alter. Auch in die Diskussion einbezogen sind die Berufsleute, deren Aufgabe es ist, sich um Behinderte und Alte zu sorgen.
Die Arbeiten gehen thematisch weit ueber Horror und Entsezten hinaus. Wie der Kuenstler selbst festhaelt, sind die Koepfe in dieser Ausstellung "nicht, was vom Korb der Guillotine waehrend der Franzoesischen Revolution aufgefangen worden waere". Er betont, dass er beim Modellieren der Skulpturen "die kraftvolle Fleischlichkeit eines jungen Maennerkopfes" hat beibehalten wollen. Die Absicht des Kuenstlers ist eindeutig: der Betrachter soll Leben im Tod erkennen koennen, Staerke inmitten von Schwaeche und eines allgemeinen Kraftschwunds. Trotz der streitfreudigen Natur der Arbeit ist sie grundsaetzlich optimistisch. Er unterbreitet uns, dass – auch wenn Sterben qualvoll sein mag – "das Tod-Sein selbst ein friedvoller Zustand ist". Jaeggis Arbeit laesst ein weites Interpretationsfeld offen und der Kuenstler hofft, dass sich jeder Besucher aufgrund des Gezeigten seine eigene Geschichte zurechtlegt, die auf der Wirklichkeit jedes einzelnen Bertachters basiert.
Jaeggis Stil hat sich in dramatischer Weise durch die Erweiterung seiner Interessen veraendert. Fruehere Arbeiten sind aus einer klassischen Tradition entstanden. Andere Werkgruppen, in denen er Strassenszenen und staedtische Wahrzeichen seiner Umgebung im Licht seiner persoenlichen Aesthetik interpretiert hat, stehen dem Impressionismus nahe. Die vielschichtigen Themen und der schwierige Inhalt dieser neueren Arbeit haben Jaeggi zu einer experimentelleren Ausdrucksweise der Avantgarde gefuehrt. Der illustrative Stil einiger der Strassenszenen, die Jaeggi "lyrisch und impressionistisch im klassischen Sinne" nennt, passt nicht mehr zum gegenwaertigen Faecher seiner Inhalte.
"Stadtimpressionen" beinhaltet Strassenszenen aus Basel, Paris und New York. "New York Zippers" ist eine Serie von 24 bemalten Leinwandfahnen ueber den "Big Apple". Gedanklich dem Geist der gegenwaertigen dreidimensionalen Arbeit schon naeher, obwohl noch entfernt in stilistischer Hinsicht, sind die darauffolgenden Arbeiten von Jaeggis "Periode bleue". Diese atmosphaerischen Bildwerke stellen Akte, Stillleben und Aussenansichten in hoechst persoenlich gefaerbter Art und Weise dar. In seiner "Periode bleue" streift er oft die Schwierigkeit des Mensch-Seins, zeigt ein Bedauern inmitten jugendlicher Bluete oder faerbt scheinbar Idyllisches mit dunklen Toenen. Wie dann spaeter mit den "friedvollen Koepfen" erfuellt Jaeggi die Formen mit Charakter, der weit darueber hinausgeht, was eine simple fotografische Wiedergabe einem Subjekt abverlangen koennte.
Wie jeder Kuenstler, dem Vielseitigkeit wesentlich ist, beschaeftigt Jaeggi sich weniger mit stilistischer Konstanz als damit, die passende Ausdrucksform fuer jeden Inhalt zu finden, mit dem er sich zur Zeit auseinandersetzt. Mit seinen unfriedlichen und kraftvollen Kopfskuplturen verlangt er vom Bertrachter, mit ihm als Kuenstler Schritt zu halten.
von Augustina O'Farrell und Erica Snow fuer NY Arts Magazine / Berliner Kunst
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