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"friedvolle Koepfe"

Ein schwebender Friedhof. Zwoelf weisse Koepfe, kreisfoermig aufgehaengt in Augenhoehe des Betrachters. Zwoelf identische Nachbildungen des Kopfes eines jungen Mannes. Am Boden darunter, je zwei rote Backsteine, darauf ein rundes Krustenbrot mit einer verknoteten Baumwollbinde. Parallel dazu, zwoelf Zeichnungsblaetter, auf denen Jaeggi die unterschiedlichen Gedanken festgehalten hat, die zur Ausfuehrung des Projekts "friedvolle Koepfe" gefuehrt haben.

Diese neue Installation Jaeggis war im Juni 2003 erstmalig im Berliner Kunstprojekt zu sehen. Nach viel beachteten Ausstellungen u.a. in New York und Paris, wo vor allem sein umfangreiches malerisches Werk zu sehen war, tritt in Berlin nun eine weitere Facette des Malers, Opernsaengers und Bildhauers Jaeggi zu Tage, in Form einer skulpturalen Installation von aeusserster inhaltlicher Komplexitaet.

Es verwundert zunaechst, dass diese sehr harmonisch angeordnete Figurengruppe, die dem Betrachter reichlich Interpretationsspielraum liefert, durch die Zeichnungsblaetter erklaerende Ergaenzung erfaehrt. Traut der Kuenstler der Wirkung seines Werkes nicht? Nimmt der Einblick in den Entstehungsprozess, der Blick hinter die Kulissen, den schwebenden Skulpturen nicht ihre geheimnisvolle Wirkung? Auf den Blaettern finden sich Fotografien, Kohle- und Bleistiftzeichnungen sowie Textauszuege. Betrachtet man den Inhalt der Zeichnungsblaetter, so muss man vorangestellte Fragen zugleich verneinen und bejahen.

Bejahen deshalb, weil Jaeggi durch humorvolle Randnotizen ein wenig von der sakralen Aura der Installation abrueckt. So findet sich hier beispielsweise ein Zettel mit der Aufschrift: "Fuer Dienstag 3. Juni 2003 bestellen bei Baeckerei Bumann 12 flache Walliserbrote 20 x 20 cm." Auf einem anderen Blatt eine mit einem Raster unterlegte Kopfstudie mit der angefuegten Bemerkung: "Ja, ja, ich verwende Massstabraster wie sie Vermeer und Duerer verwendet haben." Dem Betrachter solch profane Einblicke in die Entstehung eines Kunstwerkes zu gestatten, bringt dem Kuenstler Sympathien, naehert ihn seinem Publikum an.

Verneinen muss man die Frage ob die Blaetter dem Betrachter die Freiheit der eigenen Assoziation nehmen insofern, als diese eine sehr breite Vielfalt von Jaeggis eigener Annaeherung an das Thema bieten, so dass am Ende zwar viele Denkanstoesse gegeben, aber keine definitiven Interpretationsvorgaben gemacht werden. BBC-Bilder von marschierenden Soldaten, der mumifizierte Kopf von Ramses II, Kopfstudien, gemalt von der Mutter des Kuenstlers Pia Jaeggi-Candrian und ein kleines Bild von deren Grabstein sind nur einige Beispiele.

Jaeggi sagt, ihn interessiert die Veraenderung von Koerpertypen im Laufe der Zeitepochen. Ueber die verknoteten Baumwollbinden auf den Backsteinen (= Grabsteinen), die aus dem Grabmal eines niederen aegyptischen Wuerdentraegers stammen koennten, spannt er den ikonographischen Bogen zu den Kopfnachbildungen eines jungen Mannes mit unserer Zeit gemaessen Proportionen. Die zwoelf Varianten des gleichen Modells ermoeglichen eine beabsichtigte Gegenueberstellung mit geklonten Wesen und gewaehren somit Einblick in eine nicht ferne Zukunft.

Fuer mich strahlt die Installation in ihrer gleichmaessigen Anordnung die Ruhe und Harmonie einer kultischen Grabstaette aus. Die schwebenden Koepfe wirken wie die Geister Verstorbener. Ich sehe darin 12 ganzheitliche Koerper, die Fuesse, die roten Backsteine noch fest am Boden verhaftet, der Koerper, der Leib, reduziert auf einen Laib Brot, die verschmutzten Mullbinden als Symbol fuer die im Leben davongetragenen Verwundungen, der Kopf der sich vom Ballast des Irdischen geloest hat.

Letztlich liegt die Staerke dieser Arbeit genau darin, den Betrachter zunaechst an die Hand zu nehmen und ihn am gedanklichen und handwerklichen Entstehungsprozess teilhaben zu lassen, dabei jedoch keine letztgueltigen Aussagen zu treffen, so dass es am Ende immer noch moeglich ist sich dem Werk mit eigenen Assoziationen zu naehern, auf Augenhoehe mit dem Kuenstler und seinen "friedvollen Koepfen".

von Ralf Katzenstein fuer NY Arts Magazine / Berliner Kunst
 

Ausstellung: "friedvolle Koepfe" Rauminstallation
Galerie Berliner Kunstprojekt, Berlin
& Galerie Agora Soho / Chelsea, New York